Was genau ist das innere Kind?

Es ist ein Teil von uns, in dem sich unsere Qualitäten und Stärken und unser Potenzial für ein glückliches Leben verbergen. Über unser inneres Kind kommen wir auch unseren tiefen Wünschen und unserer Seele näher. Das Kind in uns beinhaltet andererseits auch die Muster, die uns daran hindern, unser Potenzial und uns selbst zu verwirklichen. Wir sind von Natur aus voller Kreativität, Freude, Mut, Vertrauen und Selbstbewusstsein. Die Prägungen unserer Kindheit haben diese Eigenschaften jedoch zum Teil stark verdrängt. Wir haben uns angepasst und uns eine Identität angelegt, mit der wir am besten durchs Leben kamen. Früher oder später fangen wir dann an nach unserem wahren Selbst, nach einem glücklichen Leben, nach glücklichen Beziehungen zu suchen. Und wenn wir dann den roten Faden unserer Probleme verfolgen, landen wir schnell in der Kindheit.

Welche Erlebnisse können uns beispielsweise prägen?

Die Erlebnisse sind so individuell, wie wir Menschen es auch sind. Es kommt nicht nur darauf an, was ein Kind erlebt, sondern auch darauf, wie das Ereignis subjektiv bewertet wird, je nach Charakter und Situation. So habe ich schon erlebt, dass der Verlust des geliebten Hundes so schmerzvoll erfahren wurde, dass er stellvertretend für die Wurzel aller Verlustängste stand. Wenn wir in der Kindheit z. B. Ablehnung oder nicht genug Zuwendung erfahren, kann das in uns die Überzeugung hervorrufen, wir wären nicht gut genug, wir wären wertlos und würden nicht zählen. Ob wir uns dann in eine Ecke unseres Lebens verkriechen oder unermüdlich um Anerkennung kämpfen, das hängt von unseren persönlichen Anlagen ab.

In welchen Momenten macht sich das innere Kind bemerkbar?

Eine bewusste Beziehung zum Inneren Kind zu haben bedeutet, eine gute Beziehung zu sich selbst zu haben. Dann bemerkt man das innere Kind fast kontinuierlich als eine tiefe, liebevolle Verbindung zu sich selbst. Aber auch sonst zeigt es sich viel öfter, als den meisten bewusst ist. Übertriebene Verletzlichkeit, Eifersucht, Misstrauen, das Gefühl, nicht gut genug zu sein und keine Grenzen setzen können dem verletzten Herzen des inneren Kindes entspringen. Die Liste ist beinahe endlos fortzusetzen, in Beziehungen, in der Erziehung, im Beruf …

Was ist, wenn es verletzt ist?

Da unser inneres Kind ein Teil unserer inneren Realität ist, ist sein Zustand unser Zustand. Die meisten Wunden und Prägungen heilt die Zeit nicht – das ist unsere Aufgabe. Wir wünschen uns zwar immer wieder, dass jemand oder etwas kommt, der oder das uns glücklich macht, doch wo die innere Grundlage für das Glück fehlt, dort kann sich das Glück nicht lange halten. Wenn das Kind in uns noch immer Angst hat, verletzt oder gedemütigt zu werden, verschließen wir uns vor jeglicher tiefen Begegnung und wir lassen uns nicht ein. Das tief verankerte Gefühl, nicht gut genug zu sein, lässt unsere Projekte scheitern oder hält uns davon ab, jemals welche zu beginnen.

Was, wenn es geheilt ist?

Ist das innere Kind geheilt, leben wir in Frieden mit unserer Vergangenheit, mit uns und der Welt. Anstatt zu kämpfen, zu vermeiden, oder zu erzwingen, entfalten wir unsere wahren Qualitäten. Wir werden authentischer, selbstbewusster und zufriedener. Wir werden wie die Kinder, ohne kindisch oder verantwortungslos zu werden. Im Gegenteil: Wir sind in der Lage, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, weil wir mit alten Geschichten und Bindungen abgeschlossen haben, unsere Kraft spüren und positiv in die Zukunft schauen. Wir sind frei, weil wir die alten Lasten und Schmerzen nicht mehr mit uns herumschleppen müssen. Unsere Gegenwart muss nicht mehr für die Vergangenheit herhalten und unsere Beziehungen bekommen anstelle der Bedürftigkeit eine tragende Basis der Wertschätzung für uns.

Was kann man selbst tun, um das innere Kind auszusöhnen?

Es gibt Wunden und Themen, die man ohne Hilfe von außen nicht so leicht heilen kann. Trotzdem kann jeder etwas für sein inneres Kind tun. Jeder muss herausfinden, welcher Weg für ihn am besten funktioniert: ob das der innere Dialog, Schreiben oder Malen ist. Wichtig ist, dem Kind verständnisvoll und urteilsfrei zu begegnen. Die Liebe zu dem inneren Kind ist die Liebe zu uns selbst, denn in der Wirklichkeit gibt es keine Trennung. Ist man bei der Liebe zu sich selbst angekommen, öffnet sich ein ganz neuer Raum, in dem das Leben lebenswert ist und wir uns darin selbst als wertvoll erleben. Dies ist auch eine wichtige Botschaft meines Seminars: Verlieb dich in dich selbst und du bist glücklich!

Quelle: moments 4/2014

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